Zu Compliance allgemein:
Anders als einige EU Mitgliedsstaaten hat Deutschland kein Gesetz zur Einführung praktizierter Compliance durch ein Compliance Management System in Unternehmen und Organisationen ab einer gewissen Größe. Allerdings kann die Einführung und innerbetriebliche Anwendung eines solchen Systems vor Gericht strafmildernd berücksichtigt werden, wenn es zu einem Verstoß gegen geltendes Recht kommt (BGH vom 9.Mai 2017). Eine sich aus dieser Rechtsprechung ergebende faktische Handlungspflicht zur Einführung von Compliance Management Systemen in Unternehmen mit Risikobereichen liegt nahe.
Zu dem Schutz von Hinweis gebenden Personen (Whistle Blower Protection):
Einen generellen Schutz gibt es nach dem geltenden deutschen Recht nicht. Regelungen finden sich in Spezialgesetzen wie u.a. Beamtenrecht, Versicherungsrecht, Arbeitsrecht und, bezogen auf Geldwäsche, für den Finanzdienstleistungssektor.
In der Praxis schützt die deutsche Rechtslage allerdings nicht die Hinweis gebenden Personen vor Kündigung, Rufschädigung und Verlust der beruflichen Existenz, selbst wenn es sich z.B. um einen Hinweis handelt, durch den Dritte vor schweren Schäden geschützt werden könnten.
Es gibt eine deutsche Gesetzesvorlage zur Umsetzung der EU Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (EU 2016/943). Sie sieht in § 4 einen Schutz für Hinweis gebende Personen vor. Dieser Schutz – als Rechtfertigungsgrund für die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses - greift aber nur unter der Voraussetzung, dass die Hinweis gebende Person in der Absicht handelt, dem „öffentlichen Interesse“ zu dienen. Ist ihr Motiv ein anderes, wird sie nicht geschützt; selbst wenn durch ihr Vorgehen auch schwerer Schaden zulasten Dritter abgewendet wird. Das Abstellen auf das Motiv des Hinweisgebers statt auf den Inhalt des Hinweises führt zu dieser Beschränkung des Anwendungsbereiches des Rechtfertigungsgrundes. Dessen ungeachtet würde diese Regelung eine gewisse Verbesserung der gegenwärtigen Rechtslage für Hinweis gebende Personen bringen.
Zusammenfassend: Eine generelle Regelung zur Entkriminalisierung von Hinweisgebern über konkrete Verstöße gegen geltendes Recht gibt es in Deutschland nicht.
Historie:
2008 legten die Herren Horst Seehofer (CSU),Olaf Scholz (SPD) und Frau Brigitte Zypries (SPD) – einen Gesetzesentwurf zum Hinweisgeberschutz im Bundestag vor ( Ergänzung des § 612a BGB). Auch die Grünen waren beteiligt.
2012 gab es einen Gesetzesentwurf der SPD unter Beteiligung der Abgeordneten Thomas Oppermann und Frank Walter Steinmeier. Die SPD forderte, die Arbeitnehmer als Hinweisgeber vor Nachteilen zu schützen. Dies sollte auch in die Führungsleitlinien der Unternehmen und der Verwaltung integriert werden.
Beide Initiativen scheiterten an der fehlenden politischen Unterstützung.
In den Sondierungsgesprächen für die Jamaika Koalition kam es zunächst zu einer Einigung darüber, dass ein Hinweisgeberschutz gesetzlich vorzusehen ist. Dieser Konsens wurde in der Folge der Verhandlungen wieder streitig.
Derzeitige Lage zu Compliance und Hinweisgeberschutz im politischen Umfeld:
Nach der geltenden Koalitionsvereinbarung vom 3.3.2018 ist eine konkrete Gesetzesinitiative zum Thema Compliance Management System und Hinweisgeberschutz nicht Teil des Regierungsprogramms.
Von der politischen Willensbildung hängt ab, was in Zukunft zu erwarten ist. Insoweit gibt es folgende Einflussfaktoren:
Für international aufgestellte Unternehmen – insbesondere solche, die auch Interesse an Märkten in Ländern mit ausgeprägter Compliance Orientierung wie den USA haben – sind Compliance Management Systeme heute unverzichtbar. Diese Entwicklung geht weiter. In 10 EU Mitgliedsstaaten gelten bereits Gesetze, die Compliance Management Systeme und/oder Hinweisgeberschutz regeln.
Die Justizkommissarin Vera Jourova forderte im Mai 2018 von Berlin klare Meldewege. Noch gebe es in Deutschland keinen ausreichenden Schutz der Hinweisgeber vor Vergeltungsmaßnahmen.
Das Europäische Parlament forderte in großer Mehrheit mit konkret definierten Inhalten die EU-Kommission auf, tätig zu werden. Diese veröffentlichte am 23.4.2018 den Entwurf einer Richtlinie zum Schutz von Personen, die Hinweise auf Verletzungen von EU Recht geben. Die Begründung verweist u.a. darauf, dass nach EU-weiten Umfragen 99.4% für Hinweisgeberschutz sind; 95% geht es um Korruption und Betrug und 92% um Sicherheit und Gesundheitsschutz. Diese Richtlinie beschränkt sich allerdings auf den Schutz des EU Rechts. Verletzungen rein nationalen Rechts sind damit nicht einbezogen. Immerhin wären damit immer noch aktuell 95 Richtlinien und Verordnungen betroffen, die in nationales Recht bereits umgesetzt sind. Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Inhalte über Maßnahmen, die die Mitgliedsstaaten treffen müssen, und der Folgen sind ziemlich weitgehend. Ob überhaupt und ggf. mit welchem Inhalt diese Richtlinie in Kraft treten wird, ist nicht absehbar.
Aus dieser Situation heraus könnte sich auch hierzulande im politischen Umfeld Handlungsdruck aufbauen.